Calwer erhalten Integrationspreis

Rolf Johnen (von links), Isolde Herter, Ulrike Schneider, Manne Lucha und der Vereinsvorsitzende Urs Johnen bei der Verleihung des Integrationspreises in Stuttgart. Foto: Privat

Rolf Johnen (von links), Isolde Herter, Ulrike Schneider, Manne Lucha und der Vereinsvorsitzende Urs Johnen bei der Verleihung des Integrationspreises in Stuttgart. Foto: Privat

Von Bianca Rousek 23.05.2019 – 22:16 Uhr

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Integrationsminister Manne Lucha (Grüne) haben in Stuttgart erstmals den Integrationspreis verliehen. Einer der Preisträger ist der Verein „StadtLandKultur“ aus Calw.

Calw. 380 Bewerbungen waren für den ersten Integrationspreis eingegangen, gerade einmal 13 Vereine, Stiftungen, Initiativen und Unternehmen wurden mit einem Preis ausgezeichnet – sechs weitere mit einem Anerkennungspreis. Unter den glücklichen Gewinnern war auch der Verein „StadtLandKultur“ aus Calw. Für sein Engagement für die Traumabewältigung bei Flüchtlingen erhielten die Verantwortlichen den dritten Preis in der Kategorie Zivilgesellschaft.

Eine Urkunde, einen Pokal in Form des baden-württembergischen Wappentiers, dem Stauferlöwen und ein Preisgeld in Höhe von 1000 Euro bekamen Rolf Johnen, Ulrike Schneider, Urs Johnen und Isolde Herter stellvertretend für die anderen Helfer der Projektgruppe Traumanetzwerk überreicht. „Das ist eine Bestätigung unserer Arbeit“, freut sich Schneider.

Begonnen hat der Einsatz der Ehrenamtlichen im Herbst 2016. Zunächst beschäftigten sie sich in Vorträgen und Seminaren mit dem Thema Traumabewältigung, vor allem in Bezug auf die Flüchtlingsarbeit. Wenig später gründeten sie den Verein „StadtLandKultur – Netzwerk für gesellschaftliches und kulturelles Miteinander im Landkreis Calw“, um unter anderem durch musikalische Veranstaltungen Zusammenhalt zu schaffen.

Vergangenes Jahr gelang es Rolf Johnen, Facharzt für Psychosomatik im Ruhestand, den Spezialisten der Uni Regensburg, Thomas Loew, für einen Vortrag zu gewinnen. Ein Durchbruch, wie sich später herausstellen sollte. Denn durch ihn wurden die ehrenamtlichen Helfer auf das „Traumafokussierte Sandspiel“ aufmerksam. Ein Konzept, das inzwischen zu den Kernkompetenzen des Vereins gehört.

Das „Traumafokussierte Sandspiel“ ist speziell für Kinder bis zum Alter von zwölf Jahren geeignet. Sie sitzen – jeweils mit einem Helfer – an einem Tisch, vor sich eine Wanne, die sie selbst mit Sand befüllen können. Zudem finden sie auf dem Tisch verschiedene Spielfiguren – von Bauklötzen über Tiere, Familien, bis hin zu Kriegern und Waffen. Die Kinder bekommen pro Sitzung (insgesamt zehn) zwei mal 20 Minuten Zeit, mit den Utensilien ihre ganz eigenen Geschichte zu spielen. Ob Familienidyll oder Kriegsszenen sei dabei zweitrangig, erklärt Johnen. „Wichtig ist, dass die Kinder das spielen, was in ihnen vorgeht.“ Der Helfer soll dabei zwar innerlich teilnehmen – zum Beispiel in Form von Beruhigung, falls das Kind unruhig wird – jedoch das Spiel nicht beeinflussen.

Ziel des Ganzen ist, dass die traumatischen Ereignisse, die Flüchtlingskinder oftmals erlebt haben, wieder in das autobiografische Gedächtnis zu rücken.

Konzentriert bei der Sache

Das sei wichtig, sagt Johnen, damit sich die Kinder besser in der Realität zurechtfinden. Durch eine Traumatisierung würden bestimmte Verknüpfungen im Gehirn gestört, sodass das Geschehen sozusagen aus dem autobiografischen Gedächtnis gelöscht wird, erläutert er. Ein Schutzmechanismus. Bleibt das jedoch auf Dauer so, könnte es jederzeit passieren, dass ein bestimmter Auslöser – ein Duft, ein Geräusch, ein Gegenstand – das Trauma erneut auslöst. Und das mit voller Wucht.

Das Sandspiel soll das verhindern, indem sich die Kinder schon vorher auf schonende Weise mit dem Erlebten auseinandersetzen. Um sie dabei optimal zu unterstützen, haben alle Helfer eine Schulung absolviert.

Für Jugendliche und Erwachsene, die ein Trauma erlitten haben, hat der Verein Maßnahmen wie zum Beispiel die Ausarbeitung der Lebenslinie entwickelt. Zwar ein anderes Vorgehen, wie beim Sandspiel, jedoch mit demselben Ziel.

Drei Kurse mit je zehn Teilnehmern hat das Projekt Traumanetzwerk, das sich jüngst in Projekt Traumafokussierte Kreativarbeit umbenannt hat, bereits hinter sich. Die Zukunftspläne reichen jedoch noch viel weiter. So soll es in Zukunft in Schulen Kurse geben, in denen sich ganze Klassen mit dem Sandspiel beschäftigen.

Zwar gibt es inzwischen 80 Helfer für das Projekt – für die Nachfrage sei das aber noch zu wenig, sagt Johnen. Schließlich sei das Netzwerk im ganzen Landkreis aktiv. Die Kinder seien von dem Konzept restlos begeistert, fühlten sich wohl und angenommen, sagt Herter. Für die Helfer sei es rührend zu sehen, wie konzentriert sie bei der Sache sind. „Es macht uns viel Freude“, betont Johnen.

Selbiges gilt natürlich auch für den Preis, den die Calwer vor rund 800 Gästen erhalten haben. „Die Landesregierung zeigt damit Mut“ sind sie sich einig. „Man hat gemerkt, dass es ihnen wirklich ein Anliegen ist, diese Gruppen zu unterstützen.“ Überdies sei es schön gewesen zu sehen, wie viele Menschen sich für andere einsetzen. Johnen: „Das lässt hoffen.“ Oder wie Ministerpräsident Kretschmann in einer Pressemitteilung zitiert wird: „All diese Initiativen und Projekte tragen wesentlich zum ­Zusammenhalt der Gesellschaft bei und zeigen, dass Vielfalt ein selbstverständlicher Teil Baden-Württembergs ist.“