Helfer lernen Sandspieltherapie kennen

Von Roland Stöß 29.01.2018 – 09:42 Uhr

Aufstellen zum Gruppenbild (von links): Birgit Auer (Diakonie), Helmut Leipersberger (verantwortlicher Therapeut), Gerlinde Unger (Diakonie), Rolf Johnen, die 1000. Teilnehmerin Isabell Stahl, Beate Leinberger und Thomas Loew. Foto: Stöß Foto: Stöß

Aufstellen zum Gruppenbild (von links): Birgit Auer (Diakonie), Helmut Leipersberger (verantwortlicher Therapeut), Gerlinde Unger (Diakonie), Rolf Johnen, die 1000. Teilnehmerin Isabell Stahl, Beate Leinberger und Thomas Loew. Foto: Stöß

Neubulach/Calw – 56 engagierte, ehrenamtliche Laien wurden in einem Zweitages-Seminar qualifiziert, traumatisierte Flüchtlingskinder und -jugendliche seelisch zu unterstützen. Das Besondere: Der Erfinder des inzwischen weltweit angewandten Projektes, Thomas Loew, begrüßte in Calw die 1000. Teilnehmerin Isabell Stahl.

Erfreulich: Bei offiziellen Stellen ist die Unverzichtbarkeit dieses Projektes anerkannt worden. Der Calwer Organisator Rolf Johnen erhielt finanzielle Zusagen von verschiedenen Stellen (Stadt Calw, Landkreis Calw, Fonds für Flüchtlingsarbeit). Mitunterstützer sind ferner der Diakonieverband Nördlicher Nordschwarzwald, gefördert vom Deutschen Hilfswerk.

Loew, ärztlicher Leiter der Regensburger Uniklinik in Sachen Psychosomatik, hatte angesichts des unerwartet großen Teilnehmerandrangs die Kinder- und Jugendpsychologin Beate Leinberger zum Zwei-Tage-Seminar mitgebracht.

Individuelle Betreuung

Dieses richtete sich an alle Helfer und Interessierten, um zu erfahren, was es bedeutet, ein Trauma zu erleiden. Diese ehrenamtlichen Traumahelfer, so dürfen sie sich in Zukunft nennen, treten demnächst die Aufgabe an, betroffene Flüchtlingskinder und -jugendliche individuell zu betreuen. „Unser Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen nachhaltig zu helfen. Ein nicht verarbeitetes Trauma beeinflusst sonst das gesamte weitere Leben“, so Loew. Die Folgen aus zig-tausendfachen, nicht verarbeiteten Kriegstraumata könnte die Gesellschaft kaum verkraften.

Diese Initiative ergriff Loew, als er 2015 erkannte: Die Zahl traumatisierter Flüchtlinge, insbesondere der Kinder und Jugendliche, ist einfach zu groß, “ als dass wir sie im Rahmen der kurz und mittelfristig zur Verfügung stehenden Ressourcen unterstützen können. Da wir bei konventionellem Vorgehen bei etwa 3000 Kinder-psychotherapeuten und 700 Kinderpsychiatern und mit etwa 150 000 traumatisierten Kindern rechnen müssen, würde das 1,5 Millionen Behandlungsstunden entsprechen. Selbst wenn wir uns nur auf die größten Krisen beschränken: Das ist nicht zu leisten.“

Er nahm mit diesen Zahlen allen potenziellen Kritikern den Wind aus den Segeln. „Eigentlich sind wir in Deutschland schon ohne Flüchtlinge in dieser Frage unterversorgt.“ Sie spielten damit auf die unversorgten psychosomatischen Leiden Einheimischer an. „Wie wäre es mit einem Erste-Hilfe-Kurs für die Seele?“

Loew und Leinberger erklärten anschaulich, was es heißt, traumatisiert zu sein. Brennende Menschen, Giftgas, der verstümmelte Vater, Bombenlärm, offene Gräber mitten in der Stadt, Trennung von der Familie, Kälte und Hunger. All das und viel mehr gilt es zu verarbeiten.

Ruhig sowie gelassen

Mut macht, dass die Kinder lernen wollen. Dass die Kinder die Erwachsenen spiegeln. Darin liegt auch ein Erfolgsgeheimnis der Therapie. Sind die Helfer ruhig und gelassen, lernen das die Kinder recht schnell ebenso. Das Kind kommuniziert mit den Helfern wortlos. Es braucht nicht gesprochen zu werden. Gerade Kinder werden durch „Beziehung und Bindung“ durch das Leben getragen. Exakt dieses Bewusstsein wurde in diesem Kurs geschaffen.

Loew ist optimistisch, weil er die innere Einstellung und das Engagement dieser 56 Helfer sieht. Diese opfern ihre Freizeit, möchten helfen, übernehmen Verantwortung. Sie bereichern sich übrigens dadurch auch selbst. „Wir können so ein Projekt gestalten, weil wir es hier mit Erwachsenen zu tun haben.“ Die (laienhaften) Trauma- helfer werden bei ihrer Tätigkeit nicht alleine gelassen. In Calw werden ausnahmslos immer die Psychologen Helmut Leipersberger und Rolf Johnen anwesend sein. Somit sind sie zur Stelle, wenn der Helfer nicht weiter weiß. Die Verantwortung liegt bei den Therapeuten.

Die angehenden Traumahelfer lernten in Neubulach praktisch und am eigenen Leib, wie eine Sandspieltherapie aussieht und durchgeführt wird. Abwechselnd – aus der Sicht des Kindes und des Therapeuten.

Sie lernten die gesundheitsfördernde Wirkung einer beruhigenden Atmung und die positiven Einflüsse des Singens. Auch positive Erkenntnisse der modernen Gehirnforschung und positiv wirkende Übungen (bilaterale Stimulation, die liegende Acht, EMDR-Behandlung, SURE) zeigten den Schulungsteilnehmern Erstaunliches.

Negative Beeinflussung

Im Pressegespräch gefragt, was seine Motivation für diese außergewöhnliche Initiative sei, antwortete Rolf Johnen mit einem einfachen Satz: „Da muss man doch etwas machen. Das ist doch ein Zeichen der Menschlichkeit.“

Johnen hat die beiden Regensburger Referenten auf die Gefahr hin engagiert, auf den nicht unerheblichen Kosten sitzen zu bleiben. Nun sind er und die Teilnehmenden sehr dankbar und freuen sich über die Finanzspritzen der Stadt Calw, des Landkreises und dem Fonds für Flüchtlingsarbeit (initiiert von Saskia Esken, Mitglied des deutschen Bundestages).

Loew machte allen offiziellen Stellen die Rechnung auf, dass dies eine gewinnbringende Investition ist. Umgekehrt, was es, nicht nur finanziell, für die Gesellschaft bedeutet, wenn ein Kriegstrauma unverarbeitet bleibt. Dass das gesamte weitere Leben negativ beeinflusst wird, wurde am Ende jedem Teilnehmenden klar.

Als Loew dann auch noch die vielfältigen, schwierigen und kulturellen Hintergründe beleuchtete, die Geflüchtete begleiten, wurde hier und da viel neues Verständnis erzeugt. Beispiele machten deutlich, wieso jemand ein bestimmtes Verhalten mitbringt.

„Damit müssen wir umgehen.“ Loew machte auch unmissverständlich klar: „Mit etwas umgehen heißt nicht, alles zu akzeptieren“ Wir sind sehr kompromissbereit. Wir gehen in vielen Situationen auf diese Menschen zu und sind hilfsbereit. „Doch gilt es, klare Kante zu zeigen; Regeln aufzuzeigen, die es einzuhalten gilt.“ Mit allen Konsequenzen.